In den Tod für die Wissenschaft.

 

Die tragische Geschichte der Dänischen Arabien-Expedition

Im Januar 1761 stachen sechs Männer von Kopenhagen aus in See – ausgestattet mit 100 drängenden Forschungsfragen, unerschütterlichem Pioniergeist und dem ehrgeizigen Ziel, das sagenumwobene „Arabia Felix“ zu erkunden. Was als große Reise im Namen der Aufklärung begann, wurde zu einer Expedition ins Verderben. Fünf von ihnen kehrten nie zurück. Und doch war ihre Reise nicht vergeblich.

Die Vision eines Gelehrten

Initiator der Unternehmung war der Göttinger Orientalist Johann David Michaelis, für den die Bibel mehr war als nur ein religiöser Text. Er sah sie als historisches Dokument, das – richtig interpretiert – Licht auf die Vergangenheit des Nahen Ostens werfen konnte. Und dieses Licht, so glaubte er, würde sich nur durch direkte Studien im Orient entzünden lassen – besonders im heutigen Jemen und Oman, dem antiken „glücklichen Arabien“.

Michaelis’ Traum: Sprachliche Feldforschung vor Ort, um die Ursprünge biblischer Sprache zu entschlüsseln. Doch im Laufe der Planungen wuchs das Projekt weit über seine ursprünglichen Ziele hinaus. Was 1753 als akademische Idee begann, wurde 1761 zur Dänischen Arabien-Expedition, großzügig unterstützt vom dänischen König Friedrich V. – als Zeichen dafür, dass Aufklärung und Wissenschaft nicht an nationalen Grenzen haltmachen sollten.

Sechs Männer, ein Ziel – und ein Fragekatalog

Die Expedition bestand aus einem internationalen Team: ein Philologe, ein Botaniker, ein Arzt, ein Kartograf, ein Zeichner und ein Bediensteter. Gemeinsam sollten sie nichts weniger als den Orient vermessen – wissenschaftlich, kulturell, medizinisch und botanisch.

Mit im Gepäck: ein 349 Seiten starker Fragenkatalog. Er war das Ergebnis europaweiter Befragungen von Gelehrten und enthielt über 100 konkrete Forschungsfragen – zur Sprache, zum Klima, zu Pflanzen, Krankheiten, Architektur, Religion und Gesellschaft.

Es war ein Unternehmen ohne wirtschaftliche oder koloniale Hintergedanken. Kein Eroberungsfeldzug, sondern ein Akt wissenschaftlicher Neugier. Und vielleicht genau deshalb war es so verwundbar.

Hitze, Krankheit, Misstrauen – und erste Tote

Die Route führte über Marseille, Istanbul und Kairo bis nach Mokka im Jemen. Dort angekommen, traf die Forscher das, worauf kein noch so guter Plan vorbereitet hatte: Krankheit und Misstrauen. Die Hitze, das ungewohnte Klima, unzureichende medizinische Versorgung – all das forderte ihren Tribut.

Zudem kriselte es innerhalb der Gruppe. Besonders zwischen dem dänischen Philologen Friedrich Christian von Haven und dem schwedischen Botaniker Peter Forsskål eskalierte der Konflikt. Von Haven – einst als Anführer vorgesehen – erwies sich als schwieriger Charakter. Als er große Mengen Arsen kaufte, fürchteten seine Kollegen, er könne die Gruppe vergiften. Doch es war Malaria, die ihn zuerst dahinraffte.

Sein Tod wurde von den Mitreisenden eher erleichtert als betrauert. Forsskål notierte kühl, die Reise werde nun wohl einfacher. Doch auch er starb nur kurze Zeit später – ebenfalls an Malaria.

Ein Mann bleibt übrig

Nach und nach starben die anderen: der Zeichner Bauernfeind, der Soldat Berggren, der Arzt Kramer. Übrig blieb nur einer: Carsten Niebuhr, der deutsche Kartograf. Statt aufzugeben, reiste er weiter – nach Indien, Persien und bis an den Golf. Er kartografierte, sammelte Daten, beschrieb Sitten, Sprachen und Religionen. Niebuhr betrachtete die Region nicht mit europäischer Überheblichkeit, sondern mit nüchterner, respektvoller Neugier.

Sein ethnografischer Blick war seiner Zeit voraus: Während viele seiner Zeitgenossen den Orient romantisierten oder dämonisierten, sah Niebuhr die Region als das, was sie war – eine komplexe Welt mit eigener Logik, Geschichte und Struktur.

Der Nachhall einer gescheiterten Reise

1767 kehrte Niebuhr als Einziger zurück. Mit ihm kamen jedoch nicht nur Karten und Pflanzenlisten, sondern ein wissenschaftlicher Geist, der dem Projekt Bedeutung über das Scheitern hinaus verlieh.

Er veröffentlichte zwei Werke:

  • „Beschreibung von Arabien“ (1772)

  • „Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern“ (1774–1778)

Diese Bücher wurden in den Folgejahren zu Standardwerken. Niebuhrs Karten beeinflussten Generationen von Forschern. Die Pflanzen, die Forsskål gesammelt hatte, fanden ihren Weg in die Systematik der Biologie. Seine Berichte aus Persepolis trugen später zur Entzifferung der Keilschrift bei.

Erfolg durch Scheitern

War die Expedition ein Fehlschlag? Ja – menschlich. Nur einer überlebte. Und doch: Nein – wissenschaftlich. Sie war ein Meilenstein. Sie verkörperte das Ideal der Aufklärung in seiner reinsten Form: Wissen um des Wissens willen.

Die dänische Arabien-Expedition war ein tragischer Beweis dafür, dass echte Forschung nicht immer mit Ruhm, sondern manchmal mit Tod bezahlt wird. Aber auch dafür, dass Erkenntnis nicht von der Zahl der Überlebenden abhängt, sondern vom Mut, sich dem Unbekannten zu stellen.

 

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