„Das kultische Opfer“.

 


„Das kultische Opfer“

(Poetry-Slam-Text)

Ich stehe hier,
vor dem unsichtbaren Altar,
mit meinem Coffee to go,
meinem SUV,
meinem Jahresbonus
und frage:
Was willst du von mir, Klima?

Ich habe schon Ökostrom.
Ich trenne Müll wie ein Weltmeister.
Ich poste Bäume auf Instagram
und teile Petitionen,
wenn ich gutes WLAN hab.

Aber das reicht dir nicht, oder?
Du bist kein Influencer,
du willst keine Likes.
Du bist Natur –
und Natur verhandelt nicht.

Du bist die stille Reaktion
auf unser zu lautes Leben.
Du bist das Thermometer,
das wir ignorieren,
während wir den Planeten
in ein Fieberbad legen.

Und nun?
Verlangst du Opfer?

Nicht aus Blut.
Nicht aus Steinzeit.
Nicht aus Wahn.

Sondern:

Opfer aus Bequemlichkeit.
Aus „So war’s schon immer“.
Aus „Ich hab's mir verdient“.
Aus „Einmal lebt man nur“.

Du willst,
dass ich meine Gewohnheiten zerschlage
wie Abraham den Altar baute –
bereit, das Liebste zu lassen,
für etwas, das größer ist.

Nicht mein Sohn.
Aber vielleicht
mein nächstes Fernflugticket.
Mein tägliches Steak.
Meine „Ich hab keine Zeit“-Ausrede.

Du willst mein Schweigen opfern,
gegen ein lautes:
„Es reicht.“

Und ich?
Ich schwanke.
Zwischen Schuldgefühl
und Gleichgültigkeit.

Aber dann sehe ich sie:
Die Kinder,
die heute noch nicht fragen können,
was wir geopfert haben –
für sie.

Und ich beginne zu verstehen:

Nicht das Klima fordert Opfer.
Es sind wir selbst,
die entscheiden,
ob wir leben wollen –
auf einem Planeten,
der atmen darf.

Und vielleicht,
nur vielleicht,
ist das das würdigste Opfer überhaupt.

 

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